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Die Kontrolle

Eine Kontrolle führt den Gastgeber des heutigen Abends, Mimpamba Thomas Combari, zu einem unkontrollierten Ausstoß von Gefühlen, die dann aber zu ziemlich klaren Gedanken werden. Kontrolle bedeutet in erster Linie, dass man darauf warten muss kontrolliert zu werden, denn die Kontrolle selbst hat es meistens nicht eilig. Im Warteraum kann man gut Bücher lesen oder sich die Geschichten einfach selbst ausdenken. Die dritte Bewegung erzählt eine dieser Geschichten, legt eine Hand auf unsere Schulter und sagt: Entschuldigen Sie, kommen sie bitte kurz mit?

25. Juli 2021, 18 Uhr / Oberwelt

Reinsburgstrasse 93, 70197 Stuttgart

Eine Rauminstallation.

Offen von 18 bis 22 Uhr.

Regie: Marina Dumont-Anastassiadou.

Text und Performance: Mimpamba Thomas Combari.

Kostüm und Ausstattung: Sangyeon Lee und Sofia Falsone.

Sprache: Französisch mit deutschen Untertiteln.


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Fotos: Steven Schultz (ADK)


Deutsche Version Version française

Die Kontrolle


Ein Text von Mimpamba Thomas Combari



Hallo, hallo, hallo! Ich bin Mimpamba Thomas. Wie geht’s Ihnen? Geht es Ihnen gut?

Guten Tag mein Herr, wie geht es Ihnen?

(Publikumsinteraktion).


Ich bin Mimpamba Thomas Combari aus Burkina Faso.

Reisen! Reisen ist immer ein Vergnügen. Als ich ein Kind war, habe ich gerne gereist. In den Ferien bin ich meinen Klassenkameraden immer in ihre Dörfer, Lager oder Regionen gefolgt. Nach dem Abitur ging es nach Ouagadougou, der Hauptstadt von Burkina Faso.

Kennen Sie Burkina Faso?

(Publikumsinteraktion).


Burkina Faso ist ein kleines Land im Herzen Westafrikas, gemeinhin bekannt als das Land der Aufrechten. Mit Nachbarländern, die Sie vielleicht kennen: die Elfenbeinküste, wo es viel Kakao gibt, für Schokolade, ja, Sie kennen Schokolade, Togo, Ghana, da gibt es Cola. Kennen Sie Cola hier? Benin, das ehemalige Daome. Mali. Und Niger. Im Burkina Faso habe ich die renommierte Theaterschule Jean-Pierre Guingané besucht! Und sehr schnell wird diese Schule die Türen des Reisens für mich öffnen! Nach den Ländern der Subregion, die ich bereits erwähnt habe, und auch nach Europa! Ja, Europa!


So bin ich 2015 zum ersten Mal nach Europa geflogen! An Bord eines Airbus A380 der Brussels Airlines nach Deutschland (Hamburg).

Sind Sie schon mal mit dem Airbus A380 geflogen?

(Publikumsinteraktion).


Sehr sehr komfortabel an Bord! Mit Tablett-Tischen! Sehr wahr. Sie können sogar Musik hören! Ich durfte Musik hören. Natürlich keine afrikanische Musik. Eher europäische Musik, weil es eine europäische Fluggesellschaft ist. Rock, Pop, Jazz. (Er setzt sich die Kopfhörer auf).


Lionel Richie, Stuck on me. Er tanzt.


Aber Sie hören plötzlich: Klinklon! Wer ist denn da? (Er setzt die Kopfhörer ab).

Da ist doch die Stewardess.

- Mein Herr, was möchten Sie denn essen?

- Euh, haben Sie Fleisch? Gibt es nicht? Ah okay, dann geben Sie mir bitte, das was Sie haben. Danke.

Er nimmt das Essenstablett und isst.

- Sorry

- Verzeihen Sie mir.

Erst beim Essen merkt man, dass es zwar sehr bequem ist, man aber trotzdem in einer Sardinenbüchse sitzt!

Eine furchterregende Sardinenbüchse noch dazu! Stellen Sie sich den Abflug vor!

Wenn das Flugzeug abhebt, sinkt Ihnen das Herz in den Magen. Und 5 Stunden und 30 Minuten lang geht es rauf und runter, rauf und runter, rauf und runter, rauf und runter! Immer gruselig!

Aber nach diesen 5 Stunden und 30 Minuten Flug, mit auf und ab, auf und ab, auf und ab, sind wir endlich in Brüssel! In Belgien! Land der Transite!


B.O.C von Niska


Europa, Europa ! (In Rhythmus auf Niska).


Wir sind endlich am Flughafen. Menschen, viele Menschen. Er imitiert Menschen mit Koffern, die vorbeigehen, Menschen mit Telefonen und Kaffee, die schnell gehen, und Karren für ältere und behinderte Menschen.

Die kleinen Autos für den Transport von alten oder behinderten Menschen. Zurück, zurück bitte!


Ich bin sehr glücklich, hier zu sein, zum ersten Mal auf europäischem Boden. Sehr glücklich gehe ich direkt zur Polizeiwache zur Kontrolle. So glücklich. Mit den Menschen bin ich in einer Reihe. Das geht voran, Menschen gehen rein, immer so weiter, bis ich auch dran bin. Ich zeige dem Polizisten meinen Reisepass. Er nimmt es, schaut es an und schaut mich an. Er schaut auf den Pass, und er schaut mich an. Er schaut auf den Pass, und er schaut mich an.

Er sagt mir mit einer Geste, ich solle warten. Und ich warte. Die Leute gehen vorbei, er nimmt die Pässe, er schaut nach, sie gehen vorbei. Der erste Passagier geht rein. Zweiter Passagier, er geht rein. Die Leute sehen mich an. Der dritte Passagier geht vorbei. Sie sehen mich an. Vierter Passagier, es geht rein. Ich bin wirklich gestresst. Ich werde verrückt. Ich frage mich: Was wäre, wenn es ein Problem mit meinem Reisepass gäbe? Oder was wäre, wenn ich ein gefälschtes Visum hätte? Denn das passiert oft bei Reisenden, die nach Europa wollen. Oder vielleicht sollte ich auf den nächsten Flug nach Ouaga gesetzt werden. Oh, Scheiße.

Und ich warte, ganz gestresst. Ich warte.


Er fängt an zu singen.


Wenn der letzte Passagier durch ist, ruft er mich. Ich geh hin. Er fragt mich, wo das Einladungsschreiben ist. Ich greife in meine Tasche, nehme das Einladungsschreiben und reiche es ihm. Er nimmt es, schaut es sich an und fragt mich, wo der Übernachtungsschein ist, die Hotelreservierung. Ich krame wieder herum und nehme alle Papiere heraus, die mir die Theatercompagnie gegeben hat, und reiche sie ihm. Er nimmt sie, schaut sie an und fragt mich: Wohin gehen Sie? Ich sage ihm: Ich gehe nach Deutschland (Hamburg). Für wie lange? Ich gehe für 45 Tage. Ok.

Er gibt mir meinen Pass zurück und macht so eine Geste (hält seine Hände aus, Finger ausgestreckt). Das ist für die Abnahme meiner Fingerabdrücke. Ich mache es, ich drücke meine Finger auf der Maschine. Dann zeigt er mir, wie ich das Gleiche mit den Daumen machen muss (macht die Geste, um die Daumen zu zeigen), um auch die Daumenabdrücke zu nehmen. Ich mache es. Gute Fahrt! Danke!

(Er geht mit seinem Koffer)

Als ich ging, hatte ich ein Stechen im Herzen und ein Gefühl der Wut in mir. An diesem Tag schwor ich mir, dass ich, sollte ich eines Tages wieder nach Europa fliegen, der Letzte sein würde, der aus dem Flugzeug steigt und der Letzte, der auf der Polizeiwache kontrolliert wird.


Der Tanz des Eides. Pananki von Faso Kombat.

Während er tanzt, beginnt er zu lachen.


(Zur Regie) Schnitt, Schnitt. Schnitt!

Wir müssen eines erkennen, wir setzen uns oft Gesetze, die wir vergessen! Das ist genau das, was mir am 31. März 2021 passiert ist. Ich erhalte eine E-Mail und in der E-Mail ein Flugticket nach Deutschland! Aufgeregt beginne ich, meine Koffer zu packen. Ich gehe zu meinem Cousin und sage: "Oh Cousin, heute fährst du mich zum Flughafen!“ Ich hatte ein Ticket nach Stuttgart erhalten! Ich war so glücklich, zumal es schon ein Jahr her war! Ein Jahr! Ohne Pläne, ohne Job, ohne Schule, wegen des verdammten Covid-Virus, und jetzt war es eine Erleichterung für mich! Endlich mal reisen! Ich hatte diese Freude, die mich antrieb!

Ich fliege, mit dem üblichen Komfort, mit Turkish Airlines. Nach neun Stunden von auf und ab, auf und ab, auf und ab und 3 Stunden Aufenthalt in Istanbul, komme ich in Stuttgart, am Flughafen, an. Immer noch überglücklich, steige ich schnell aus dem Flugzeug! Da wartet ein Taxi auf mich! Ich nehme bereits mein Telefon heraus und beginne über das Wifi des Flughafens zu schreiben. Es ist für eine Stunde kostenlos, aber ich werde bestimmt keine Stunde hier verbringen. Ich schreibe meinem Cousin: Yo Cousin, ich bin gut angekommen, ich erledige die Formalitäten, sobald ich zu Hause bin, rufe ich dich an, ja keine Sorge, ich rufe dich an!

Ja Leute, ja ich bin angekommen, yes.

Hey Bruder, ja ich bin hier!

Oh Bro! Ja, ich bin hier. Ja, keine Sorge, ich rufe dich an (er sieht das Schild für europäische Pässe).

Und plötzlich stelle ich fest, dass ich in der Reihe derjenigen stehe, die einen europäischen Pass haben. Ich gehe raus und nehme die Schlange, in der "alle Pässe" steht. Das sind wir. Ich warte, bis ich dran bin und schreibe weiter. Hey, Cousin, ja es läuft gut. Ich bin angekommen, ja ich werde einen Videoanruf machen, sobald ich im Hotel bin!

Und endlich bin ich dran. Aufgeregt und lächelnd übergebe ich dem Polizisten meinen Reisepass. Er nimmt ihn, schaut ihn an und schaut mich an. Er schaut ihn an und er schaut mich an. Er schaut ihn an ... und schließlich sagt er mir mit einer Geste, ich solle warten. Ich tue so, als hätte ich seine Geste nicht verstanden. Er spricht mit mir auf Deutsch. Ich verstehe kein Deutsch. Er beschließt, mit mir auf Englisch zu sprechen. Er sagt: "Wait here". Nun, ich verstehe.

Ich warte. Eine Person geht durch, sie geht rein. 2. 3. 4, sie geht durch. 5, er geht durch. 6, er geht durch, 7, sie geht durch, 8, sie geht durch. 9. 10. 11. 12. Ich bin hier und warte. Ich warte.

Irgendwann beginnt sich der Stress in mir aufzubauen, ich fange an, einen ganzen Film vor meinen Augen zu sehen und mir viele Fragen zu stellen. Was ist, wenn mein Covid-Test nicht gültig war? Was ist, wenn mein neuer Reisepass gefälscht ist? Was, wenn sie mich in ein Flugzeug zurück nach Ouaga setzen? Ich warte.


Er wartet.